Sehr geehrte Damen und Herren,
die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di war im Mai mit einem überraschenden Vorschlag auf den Arbeitgeberverband zugekommen: AGV und ver.di sollten sich Anfang Juni „im kleinen Kreis“ treffen, um in Anbetracht der „schärfsten Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland“ zu einem „schlanken und schnellen Tarifergebnis“ zu kommen.
Der Vorstand des AGV erklärte sich zu einem solchen Treffen bereit. In der Folge trafen sich „kleine Verhandlungskommissionen“ der beiden Tarifvertragsparteien am 4. Juni 2009 in Wuppertal. Es wurde vereinbart, zunächst Stillschweigen über das Treffen zu wahren.
Die Delegation des AGV wurde von Dr. Josef Beutelmann, Vorstandsvorsitzender der Barmenia Versicherungsgesellschaften und Vorsitzender des AGV, geleitet, die Delegation der Gewerkschaft von ver.di-Bundesvorstandsmitglied Uwe Foullong. Ergebnis des Gesprächs war ein Tarifabschluss, der ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Zustimmung beider Tarifvertragsparteien bis 19. Juni stand. Da zwischenzeitlich die zuständigen Gremien von ver.di und dem AGV zugestimmt haben, hat der Abschluss Bestand und regelt nunmehr die Arbeitsbedingungen in der Branche bis 31. März 2011.
Der Tarifabschluss weist folgende Eckpunkte auf:
- Sechs sog. „Null-Monate“ (Oktober 2009 bis einschließlich März 2010), in denen der alte Gehaltstarifvertrag vom 24. November 2007 unverändert fortbesteht.
- Einmalzahlung i. H. v. 250 € für die Angestellten (nicht für die Auszubildenden), zahlbar im November 2009.
- Lineare Anhebung der Tarifgehälter (einschließlich Tätigkeits- und Verantwortungszulagen) sowie der Vergütungen für Auszubildende um 2,5 % ab 1. April 2010.
- Lineare Anhebung der Gehaltsgruppen A und B um 5 % ab 1. April 2010.
- Verlängerung des Altersteilzeitabkommens für den Innendienst zu unveränderten Bedingungen – d. h. ohne Rechtsanspruch – bis 30. Juni 2011.
- Verlängerung des tariflichen Arbeitszeitkorridors zu unveränderten Bedingungen bis 30. Juni 2011.
- Ausschluss der Möglichkeit, das Rationalisierungsschutzabkommen zu kündigen, bis 31. Dezember 2010.
- Laufzeit des neuen Tarifvertrages: 18 Monate (also bis einschließlich 31. März 2011)
- Das Gesamtvolumen des Abschlusses für die gesamte Laufzeit von 18 Monaten beträgt 2,10 %. Nach Westrick umgerechnet auf zwölf Monate sind dies 1,58 %. Die stärkere Anhebung der Gehaltsgruppen A und B ist aufgrund noch ungesicherter Datengrundlage (die Gehaltsgruppen gelten nur für Neueinstellungen seit 1. Januar 2008) nicht berücksichtigt; die höhere Anhebung würde sich mathematisch lediglich hinter der zweiten Kommastelle auswirken.
Die tarifliche Belastung des Jahres 2009 gegenüber dem Vorjahr beläuft sich auf 1,93 %, die des Jahres 2010 gegenüber dem Jahr 2009 auf 1,34 %. In diesen Zahlen sind die Personalzusatzkosten definitionsgemäß nicht enthalten.
Der Wortlaut der Tarifvereinbarung und die neuen Gehaltstabellen sind als Anlage beigefügt.
Zu dem Abschluss dürfen wir Ihnen folgende Erläuterungen geben:
- Die Gehaltsgruppen A und B werden mit Wirkung ab 1. April 2010 um 2,5 Prozentpunkte über die Anhebung aller übrigen Tarifgehälter hinaus, insgesamt also um 5 %, angehoben. Die Gewerkschaft hatte ursprünglich eine Anhebung aller Tarifgruppen um 4,3 %, mindestens jedoch um 150 €, gefordert. Diese Forderung hat der AGV abgelehnt. Der Abstand zwischen den Gehaltsgruppen A und B und den Gehaltsgruppen I und II liegt derzeit – abhängig vom Berufsjahr – zwischen 498 € und 730 €. Ab 1. April 2010 wird die Bandbreite 470 € bis 714 € betragen. Der Abstand verringert sich dann also lediglich um 16 € bis 28 €.
- Nachdem mit Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 28. September 2007 (8 Sa 916/07) für den Bereich der Versicherungswirtschaft entschieden wurde, dass Streiks zum Zwecke der Durchsetzung von Tarifsozialplänen im Geltungsbereich von Rationalisierungsschutzabkommen aufgrund Verstoßes gegen die relative Friedenspflicht unzulässig sind, hatte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im privaten Bankgewerbe das Rationalisierungsschutzabkommen mit Wirkung zum 31. Dezember 2008 gekündigt. Seitdem sind bei den Banken Streiks zum Zwecke der Durchsetzung eines Tarifsozialplans zulässig. In unserer Branche kann das Rationalisierungsschutzabkommen mit dreimonatiger Frist jeweils zum Kalenderjahr gekündigt werden. Zum Zeitpunkt des Gesprächs in Wuppertal – also am 4. Juni 2009 – hatte ver.di das mit dem AGV 1970 abgeschlossene und 1983 novellierte Rationalisierungsschutzabkommen nicht gekündigt. Vor dem Hintergrund der Entwicklung bei den Banken hat unsere Verhandlungskommission darauf gedrungen, dass ver.di auf die Kündigungsmöglichkeit zum 31. Dezember 2009 verzichtet. Darauf ist die Gewerkschaft eingegangen. Das Rationalisierungsschutzabkommen kann daher in unserer Branche frühestens zum 31. Dezember 2010 gekündigt werden.
Der Tarifabschluss enthält folgende aufschiebende Bedingung:
- „Diese Tarifvereinbarung wird von beiden Seiten unter der aufschiebenden Bedingung geschlossen, dass keine Seite die Tarifvereinbarung bis 19. Juni 2009 durch einseitige Erklärung für unverbindlich erklärt.“
Alle Vorstandsmitglieder des AGV haben dem Abschluss zugestimmt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat uns nach einer Sitzung ihrer „großen Tarifkommission“ am späten Nachmittag des vergangenen Freitags darüber informiert, dass auch sie den Abschluss nicht widerrufen wird.
Aus Sicht des agv ist es sehr zu begrüßen, dass durch den Abschluss frühe Planungssicherheit nicht nur für den Rest des Jahres 2009 und das volle Jahr 2010, sondern auch für das erste Quartal des Jahres 2011 geschaffen wird.
Der AGV wird sich nun bemühen, auch mit den Gewerkschaften DHV und DBV – wie in der Vergangenheit – einen inhaltsgleichen Tarifvertrag abzuschließen. Entsprechende Gespräche werden in Kürze aufgenommen.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Michael Niebler, Dr. Sebastian Hopfner