TN 02/2012, 11. Juni 2012

Manteltarifrunde 2012 - Anpassung der Tarifverträge an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Der AGV und ver.di haben sich außerhalb der regulären Manteltarifrunde 2012 hinsichtlich der Anpassung der Tarifverträge für das private Versicherungsgewerbe an das AGG geeinigt. Die erzielten Kompromisse basieren auf gesonderten Gesprächen auf Arbeitsgruppenebene am Rande der Tarifrunde 2011. Diese Gespräche wurden nun im Zuge der Manteltarifverhandlungen 2012 fortgesetzt und es konnte eine Einigung erzielt werden.

Im Sinne der Rechtssicherheit der Tarifverträge für das private Versicherungsgewerbe ist es zu begrüßen, dass diese Materie, die bereits seit 2007 Gegenstand von Gesprächen zwischen den Sozialpartnern ist, nun zufriedenstellend für beide Tarifpartner ihren Abschluss gefunden hat.

Die Änderungen treten zum 1. Juli 2012 in Kraft. Die modifizierende Tarifvereinbarung vom 25. Mai 2012 sowie eine vergleichende Synopse zur Rechtslage bis 1. Juli 2012 und zur neuen Rechtslage sind in Anlage 1 und 2 beigefügt.

Der AGV hat den beiden Gewerkschaften DHV und DBV den Abschluss gleichlautender Tarifvereinbarungen angeboten. Es wird davon ausgegangen, dass entsprechende Vereinbarungen zeitnah verabschiedet werden können.

Nachfolgend erhalten Sie einen Überblick über die hinsichtlich des AGG modifizierten Vorschriften der Tarifverträge für das private Versicherungsgewerbe. In Anlage 3 ist eine ausführliche Kommentierung der Tarifvereinbarung beigefügt.

Im Einzelnen werden folgende Regelungen getroffen:

1. Anrechenbare Berufsjahre i.R.d. GTV

Das „Lebensalter“ findet im Rahmen der Anrechnung von Berufsjahren i.R.d. GTV künftig keine Berücksichtigung mehr. Die in § 5 Ziff. 1 und 3 MTV a. F. sowie § 1 GTV normierten Regelungen, dass für versicherungsfremde Tätigkeiten erst „Gehälter vom 19. Lebensjahr“ Anrechnung im Rahmen der Berufsjahrstaffelung finden, werden wegen möglicher Altersdiskriminierung ersatzlos gestrichen.

2. Konkretisierung der Definition „nebenberuflich“ Beschäftigter

Die Protokollnotiz vom 16. April 1983, die den Begriff der „nebenberuflich“ Beschäftigten, die nicht dem Geltungsbereich des MTV unterfallen, spezifiziert, wird aufgrund rechtlicher Bedenken der Gewerkschaften hinsichtlich einer Unvereinbarkeit mit dem AGG sowie dem TzBfG (§ 4) konkretisiert. Entsprechend der Neufassung ist eine Tätigkeit jedenfalls dann nebenberuflich, wenn der Arbeitnehmer regelmäßig nicht mehr als 25 % der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit beschäftigt wird und einer anderweitigen Erwerbstätigkeit einer Schul-/Berufs-ausbildung oder einem Studium nachgeht oder eine Leistung der Sozialversicherungsträger (z. B. Rente) oder des Staates, ausgenommen Aufstockungszahlungen im Rahmen des Arbeitslosengeldes II (SGB II), zu seinem Lebensunterhalt bezieht. Die vorgenommene Ergänzung der Protokollnotiz macht die Herausnahme aus dem Geltungsbereich des MTV (und der übrigen Tarifverträge) neben einem geringen Arbeitszeitfaktor von weiteren i.S.d. TzBfG sowie AGG sachlich begründeten Voraussetzungen abhängig (Rentenbezug, Studium, Schulausbildung etc.), bei deren Vorliegen die Geltung des hohen Schutzstandards des PVT wegen geringer sozialer Eingliederung in das Unternehmen nicht angemessen erscheint.

3.  Berechnung Kündigungsfristen

Im Rahmen der Berechnung der für den Arbeitgeber maßgebenden Kündigungsfristen gem. § 15 Ziff. 2 MTV wird der Klammersatzteil „die Beschäftigung vor Vollendung des 21. Lebensjahres wird nicht berücksichtigt“ gestrichen. Dies hat zur Folge, dass im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH alle Beschäftigungszeiten beim Arbeitgeber, unabhängig vom Lebensalter des Beschäftigten, i.R.d. Berechnung der maßgebenden Kündigungsfristen Anrechnung finden.

4. Privilegierungsvorschriften für Ältere

In Bezug auf die aus Sicht der Arbeitgeber problematischen tariflichen Schutzvorschriften für ältere Angestellte haben die Sozialpartner einen Kompromiss geschlossen, der das Risiko einer etwaigen „Anpassung nach oben“ durch die Rechtsprechung minimiert. Betroffen sind folgende Regelungen:

  • Sonderkündigungsschutz von Arbeitnehmern ab Lebensalter 55 mit 10-jähriger Unternehmenszugehörigkeit (§ 15 Ziff. 3 MTV)
  • Abgruppierungsschutz von Angestellten ab Alter 50 mit 10-jähriger Unternehmenszugehörigkeit bei Umstrukturierungen (§ 7 Abs. 2 RSchA, § 4 Ziff. 2c MTV)
  • Unzumutbarkeit eines Ortswechsels bei Rationalisierungsschutzmaßnahmen für Arbeitnehmer ab Lebensalter 55 (§ 5 Abs. 6 RSchA)


Die Tarifvertragsparteien bekräftigen anhand neu aufgenommener Protokollnotizen ihre Rechtsauffassung, dass die vorbezeichneten Schutzregelungen für ältere und langjährige Beschäftigte auch unter Beachtung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nach übereinstimmender Auffassung weiterhin wirksam sind. Ergänzend enthält die Protokollnotiz einen effizienten Mechanismus zur Vorbeugung unverhältnismäßiger Rechtsfolgen für den Fall, dass das BAG oder der EuGH zu einer anderen Bewertung gelangt. In diesem Falle tritt die jeweilige Tarifnorm mit Rechtkraft der gerichtlichen Entscheidung außer Kraft. Die Sozialpartner verpflichten sich, spätestens innerhalb von drei Monaten Verhandlungen über eine Neuregelung aufzunehmen. Auf diese Weise wird der Gefahr vorgebeugt, dass im Falle eines obsiegenden Urteils zu Gunsten des klagenden Mitarbeiters entgegen dem Willen der Tarifvertragsparteien andere Arbeitnehmer nach der von der Rechtsprechung bestätigten Rechtsfolge der „Anpassung nach oben“ gleiche Rechte geltend machen.

5. Nachzahlung Sonderzahlung bei Elternzeit

Auch männliche Angestellte können künftig bei Inanspruchnahme der Elternzeit eine Nachzahlung der zuvor gekürzten tariflichen Sonderzahlungen erhalten. Dies entsprach bislang nicht der tariflichen Rechtslage, da die maßgebenden Tarifnormen (§§ 3 Ziff. 3 Abs. 3 Satz 3, 13 Ziff. 9 Abs. 3 Satz 3, 19 Ziff. 5 Abs. 6 Satz 3 und 22 Ziff. 3 Abs. 6 Satz 3 MTV) den Nachzahlungsanspruch an den „Mutterschaftsurlaub“ knüpften, der nur Müttern zustand. Nachdem der Mutterschaftsurlaub durch die Elternzeit ersetzt wurde, haben die Sozialpartner die tariflichen Normen synchronisiert. Der Nachzahlungsanspruch ist in Anlehnung an den früher geltenden viermonatigen Mutterschaftsurlaub daher konsequenterweise auf die für die ersten vier Lebensmonate des Kindes in Anspruch genommene Elternzeit beschränkt.

6. Anspruchsberechtigte im Rahmen der Hinterbliebenenversorgung

Eingetragene Lebenspartnerschaften werden neben den Ehegatten in den anspruchsberechtigten Personenkreis der tariflichen Hinterbliebenenversorgung einbezogen (§ 10 Ziff. 4 Abs. 2a MTV).

7. Sozialzulage

Die Regelung zur Sozialzulage für 38-jährige gem. § 19 Ziff. 2 Abs. 4b MTV soll im Rahmen der diesjährigen Außendienstverhandlungen, die am 24. September 2012 beginnen, behandelt werden.

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