TN 05/2012, 28.11.2012

Manteltarifverhandlungen 2012 – AGV erklärt Scheitern

Die Manteltarifverhandlungen 2012 wurden auf „höchster“ Ebene geführt; Verhandlungsführer waren für die Arbeitgeberseite Dr. Josef Beutelmann, Vorsitzender des AGV und Vorstandsvorsitzender der Barmenia Versicherungen, und für die Gewerkschaftsseite Beate Mensch, Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes.

Die Tarifvertragsparteien hatten sich im Rahmen des Tarifabschlusses 2011 auf folgende Regelungen verständigt:

„Im Jahre 2012 führen die Tarifvertragsparteien Verhandlungen über die Zukunftsfähigkeit der Tarifverträge in der Versicherungsbranche. Die Verhandlungen beginnen im Januar 2012.

Jede Tarifvertragspartei wird der anderen Seite bis zum 30. November 2011 konkrete Formulierungsvorschläge als Verhandlungsgrundlage unterbreiten. Die Verhandlungen werden hierarchisch auf beiden Seiten auf der gleichen Ebene geführt wie die Verhandlungen, die zu dieser Tarifvereinbarung geführt haben; Verhandlungsführer sind daher auf beiden Seiten die Verhandlungsführer dieser Tarifvereinbarung.“

Um die Verhandlungen von Beginn an konstruktiv zu führen, hatte der AGV zahlreiche seiner im Rahmen der Gehaltstarifrunde erhobenen Forderungen nicht aufrecht erhalten und seinen Forderungskatalog für die Manteltarifrunde auf vier Kernthemen konzentriert:

  • Ausweitung der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit von zwei auf vier Jahre (nur für Neueinstellungen!)
  • Ausweitung der Tarifgruppen A und B auf alle Tätigkeitsbereiche der Gehaltsgruppen I und II für Neueinstellungen (!)
  • Einführung der Einigungsstellenfähigkeit von Samstagsarbeit
  • Herausnahme der übertariflich bezahlten Angestellten ausschließlich aus der tariflichen Arbeitszeitregelung

Die ersten beiden Forderungen hatten dabei klare Priorität.

Im Gegensatz zu den Forderungen des AGV betrafen die Forderungen von ver.di nicht nur Neueinstellungen, sondern alle Mitarbeiter und sahen weitreichende Verbesserungen der materiellen Arbeitsbedingungen vor. Insbesondere forderte ver.di folgende Regelungen:

  • Einführung eines tariflichen Anspruchs auf eine individuell von den Mitarbeitern zu wählende Qualifizierungsmaßnahme von 10 Tagen pro Jahr
  • Einführung einer gemeinsamen Bildungsagentur von AGV und ver.di zur Kontrolle der Bildungsaktivitäten der Unternehmen
  • Einführung eines Rechtsanspruchs auf „Sabbatical“ zu Bildungszwecken von bis zu drei Jahren mit Rückkehrgarantie
  • Festlegung einer verpflichtenden Einstellungsquote von Auszubildenden für die gesamte Branche
  • Einführung eines Übernahmeanspruchs für alle Ausgebildeten in der Branche in unbefristete Arbeitsverhältnisse
  • Tariflicher Ausschluss von Mehrarbeitsvergütung (Ausgleich von Mehrarbeit nur noch in Freizeit)
  • Einführung einer betrieblichen Gesundheitskommission mit weitreichenden Befugnissen
  • Verpflichtung des Arbeitgebers zu jährlichen Gefährdungsbeurteilungen für jeden Arbeitsplatz
  • Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Arbeitsmengensteuerung
  • Restriktive Regelungen zu Lebensarbeitszeitkonten
  • Einbeziehung von Leiharbeitnehmern in die Regelungen des Versicherungstarifvertrages
  • Verbot der Nutzung von Notebook, Smartphone, Blackberry außerhalb der Arbeitszeiten
  • Technische Vorrichtungen zur Umsetzung des Verbots der Nutzung mobiler Kommunikationsmittel
  • Bewertung aller Zeiten der mobilen Kommunikationsmittelnutzung als Arbeitszeit
  • Verbot der dienstlichen Anordnung der Nutzung von mobilen Kommunikationsmitteln

Sämtliche Regelungen hätten die Tarifbindung nicht gestärkt, sondern wegen ihrer erheblichen Kostenwirkung stark geschwächt bis hin zu deutlichen Eingriffen in die unternehmerische Freiheit.

Die Manteltarifverhandlungen 2012 wurden auf „höchster“ Ebene geführt; Verhandlungsführer waren für die Arbeitgeberseite Dr. Josef Beutelmann, Vorsitzender des AGV und Vorstandsvorsitzender der Barmenia Versicherungen, und für die Gewerkschaftsseite Beate Mensch, Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes.

Die Verhandlungskommissionen trafen am 31. Januar und heute, am 28. November, zusammen; dazwischen haben drei Arbeitsgruppen mehrfach getagt und versucht, Kompromisslinien zu finden.

ver.di zeigte sich nicht bereit, dem Arbeitgeberverband bei seinen beiden zentralen Forderungen – Erweiterung der Befristungsmöglichkeit und Ausweitung der Tarifgruppen A und B auf den kompletten Anwendungsbereich der Tarifgruppen I und II – entgegenzukommen (Verhandlungsbereitschaft wurde lediglich bei den „Mikrothemen“ signalisiert). Um eine Einigung zu erleichtern, stellte die Verhandlungskommission des AGV bei den heutigen Verhandlungen ihre Forderung nach Erweiterung der Befristungsmöglichkeit zurück und legte darüber hinaus einen Tarifvertragsentwurf mit folgenden Regelungsinhalten vor:

  • Einführung einer tariflichen Altersvorsorge von 4 % des Jahresbruttogehalts für die Tarifgruppen A und B (auch für die derzeit bereits beschäftigten Mitarbeiter); dies hätte eine zusätzliche Gehaltssteigerung außerhalb der Gehaltstarifrunden für diesen Mitarbeiterkreis bedeutet!
  • Einführung eines Tarifvertrages Gesundheitsförderung
  • Neuabschluss des zum 31.12.2011 ausgelaufenen Tarifvertrages zur Qualifizierung
  • Appell zur Erhöhung der Ausbildungsbereitschaft der Versicherungsunternehmen und Erhöhung der Übernahme von Ausgebildeten
  • Abschluss einer weitreichenden gemeinsamen Erklärung zum Thema Demografie

Bei der Ausweitung der Tarifgruppen A und B bot ver.di nur eine „Öffnungsklausel“ des Inhalts an, dass haustarifliche Ergänzungen zu den Branchentarifverträgen künftig möglich sein sollen. Das hat der AGV abgelehnt, weil heute schon ein solcher Haustarifvertrag jederzeit abgeschlossen werden kann, eine tarifliche „Öffnung“ ist rechtlich hierfür nicht erforderlich. Insofern hätte der Vorschlag von ver.di keinerlei Verbesserung erbracht. Er war für den AGV nicht akzeptabel.

Der AGV hat deshalb heute das Scheitern der Manteltarifverhandlungen erklärt. Die Gehaltstarifrunde 2013 wird daher eine „reine Lohnrunde“ werden.

ver.di hat sich in Mantelfragen als nicht verhandlungsfähig gezeigt. Die beiden zentralen Forderungen des AGV hätten nur für Neueinstellungen gegolten; kein Mitarbeiter, der heute in der Versicherungswirtschaft beschäftigt ist, wäre davon betroffen gewesen. Zudem hatte der AGV angeboten, allen Mitarbeitern in den Tarifgruppen A und B eine tarifliche Altersvorsorge einzuräumen. Diese hätte neben der damit verbundenen Bruttogehaltserhöhung wegen der durch diese Gestaltung bewirkten Steuer- und Sozialversicherungsersparnis zu einer Erhöhung des Nettoeinkommens von durchschnittlich € 180 p. a. geführt.

ver.di hat mit seiner Verhandlungsposition also nicht nur die vom AGV beabsichtigte Beschäftigungsförderung (in den Tarifgruppen A und B sind seit 2007 bereits über 600 Mitarbeiter neu eingestellt worden, während die Tarifgruppen I und II nach wie vor kontinuierlich abgebaut werden) sowie die Stärkung der Tarifbindung verhindert, sondern auch sofort wirksame Gehaltsverbesserungen für die Bestandsmitarbeiter der Gehaltsgruppen A und B abgelehnt.

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