Versicherungskammer Bayern: Jobsharing in Führungspositionen
Interview mit Claudia Scheerer (Leitung Unternehmenskommunikation, Pressesprecherin) und Sonja Klier-Prokscha (Führungskraft im Jobsharing-Modell)
Frau Scheerer, wie unterstützt der Konzern Versicherungskammer Frauen in Führungspositionen?
Scheerer: Wir haben das Thema Frauenförderung vor acht Jahren auf unsere Agenda gesetzt und 2015 in das breiter ausgerichtete Diversity-Programm übernommen. In jedem Jahr werden zwei bis drei neue Arbeitsgruppen etabliert. Sie beschäftigen sich mit vielfältigen Themen und erarbeiten Angebote für die Frauenförderung aber auch das breitere Diversity-Programm. Eines dieser Themen ist das Jobsharing, das im Haus etabliert wurde. Damit richten wir uns z. B. an Eltern, die vor der Frage stehen: Kind oder Karriere? Es kann aber auch andere Gründe für eine Entscheidung für Jobsharing geben - wie z.B. die Pflege von Angehörigen. Im Moment wird das Modell überwiegend von Frauen nachgefragt. Es gibt aber schon einzelne Männer, die ebenfalls interessiert sind.
Wie funktioniert das Modell „Jobsharing“ in der Praxis?
Scheerer: Im Jobsharing-Modell wird eine Stelle nicht mit 1,0 sondern mit 1,2 Kapazitäten besetzt. Dadurch haben die beiden Mitarbeitenden, die sich eine Stelle teilen, einen oder einen halben Tag, an dem sie sich überschneiden. Während dieser Zeit können sie die aktuellen Themen übergeben und sich austauschen.
Wie finden sich zwei passende Führungskräfte für das Jobsharing-Modell?
Klier: Wir haben eine große öffentliche Plattform im Social Intranet, die für alle Mitarbeitenden sichtbar ist und wo Informationen allgemeiner Natur zum Jobsharing liegen. Daneben gibt es einen geschlossenen Bereich für Interessierte, die einen ausführlichen Steckbrief hinterlegen möchten. Ich persönlich habe meine Tandempartnerin allerdings außerhalb der Datenbank gefunden.
Frau Klier, Sie haben gesagt, dass Sie seit 1. Juli 2019 im Jobsharing-Modell arbeiten. Wie war der Start für Sie?
Klier: Der Start war ein ganz wunderbarer. Nichtsdestotrotz haben wir uns natürlich etwas finden müssen: Wir mussten klären, wie wir die Übergabe gestalten, wie wir Themen und auch wie wir Emotionen und Eindrücke transportieren.
Sie sagten Sie arbeiten jeweils 23 Stunden. Ist das die Norm im Jobsharing-Modell?
Klier: Im Prinzip könnte man dieses Modell beliebig kombinieren. Man könnte auch einen Wochen- oder einen Halbtages-Wechsel machen. Wir haben uns für das Modell mit zwei Mal 23 Stunden entschieden. Es kann aber auch passieren, dass ich - aufgrund der familiären Situation zu Hause - auf 15 Stunden reduziere und meine Kollegin gleicht das für ein paar Monate aus. Das Schöne ist eben an diesem Modell, dass es unglaublich flexibel ist. Wir müssen uns nur intern abstimmen.
Wie regeln Sie die Aufgabenteilung? Machen Sie beide alles oder hat jede ihre eigenen Projekte?
Klier: In der Mitarbeiter- und Vertriebsbetreuung sowie bei der Abteilungsorganisation - also sprich im Abteilungsalltag - machen wir beide alles. Meine Kollegin erfüllt diese Aufgaben Montag bis Mittwochmittag und ich übernehme sie dann ab Mittwochmittag bis Freitagnachmittag. Wenn unser Chef einen Sonderauftrag zu vergeben hat, übernimmt den erst mal eine von uns. Über die Vertretungsfunktion, die ich für meine Kollegin habe, muss ich natürlich trotzdem im Thema sein. Ich versuche dann an meinen Tagen das Projekt soweit zu bearbeiten damit es weiterläuft. Sie hat aber den Schwerpunkt darauf es voranzubringen.
Was ist das Rezept für ein gut funktionierendes Jobsharing?
Klier:Ich glaube es ist wie in einer gut funktionierenden Ehe: Man braucht ein gesundes Maß an Gleichklang in den übergeordneten Werten und Methoden. Für mich persönlich ist meine Jobsharing Partnerin meine größte Kritikerin aber auch meine engste Unterstützerin und zwar in einem sehr geschützten Raum. Für uns ist wichtig, dass wir absolutes Vertrauen haben. Man muss loslassen können und zwar jederzeit im Prozess. Meine Kollegin, die Montag bis Mittwoch im Büro ist, muss am Mittwoch loslassen und an mich abgeben können.
Aus meiner Sicht ist für Egoisten in so einem Jobsharing Modell absolut kein Platz. Man gewinnt gemeinsam aber man muss auch gemeinsam Kritik einstecken können. Man muss bereit sein sich weiter zu entwickeln - gemeinsam. Ganz besonders wichtig ist auch, dass beide zumindest mittelfristig die gleichen Entwicklungsziele haben. Das war auch eines der ersten Themen, die meine Tandempartnerin und ich besprochen haben: Wo willst du hin in drei bis fünf Jahren? Man braucht eine Weile um die Dinge zu stabilisieren und dann ist es schwierig, wenn sofort wieder Bewegung entsteht.
Wie nehmen die Mitarbeitenden es an, dass sie zwei Führungskräfte haben? Kann dies auch zu Konflikten oder Kommunikationsproblemen führen?
Klier: Wir nehmen es so wahr, dass sie es als Chance sehen. Wir können es uns so einrichten, dass relativ durchgehend jemand erreichbar ist - anders als eine Führungskraft, die kein Jobsharing-Tandem praktiziert und vielleicht häufig auf Dienstreisen ist. Wir vertreten uns gegenseitig auch im Urlaub oder im Krankheitsfall. Natürlich ist dies nicht zu 100 % möglich, aber so, dass die Themen der Mitarbeitenden zeitnah geklärt werden können. Ich glaube die Mitarbeitenden schätzen es auch, dass wir beide sehr unterschiedlich sind.
Wird das Jobsharing-Modell auch von oben unterstützt?
Scheerer: Das gesamte Diversity-Programm wird von unseren Vorständen engagiert gefördert. Unser Vorstandsvorsitzender, Herr Dr. Walthes, ist ein großer Diversity-Befürworter und unterstützt die Themen sehr.
Wie viele Tandems gibt es aktuell in Ihrem Haus und auf welchen Ebenen?
Scheerer: Im Moment sind es drei Tandems auf Abteilungsleiterebene. Grundsätzlich ist das Modell aber für alle Ebenen offen und eine Frage der Beteiligten. Sie müssen den Mut haben und testen, wie das Modell für den Einzelnen und in der Zusammenarbeit mit dem/r TandempartnerIn gelingt.
Wie sehen die Pläne für die Zukunft aus? Werden weitere Jobsharing-Stellen angeboten?
Scheerer: Auf alle Fälle. Wir möchten das Modell weiter verbreiten. Auch die Führungskräfte der ersten Ebene sollen sensibilisiert werden, dass Jobsharing ein geeignetes Instrument dafür ist, Frauen und junge Mütter, die schon Führungsverantwortung haben oder an einer Führungsfunktion interessiert sind, im Unternehmen zu halten. Jobsharing ermöglicht es ihnen, Familie und Karriere zu kombinieren.
Was sind die Hauptargumente für das Modell aus Unternehmenssicht sowie aus persönlicher Sicht?
Scheerer: Das Modell hat auch eine strategische Bedeutung. Die Potenziale und Fähigkeiten von Führungskräften können umfassender aktiviert und genutzt werden. Es können mehr Skills eingebracht und genutzt werden, als nur eine Person zur Verfügung stellen könnte. Dies wiederum ist zum Vorteil der Mitarbeitenden. Außerdem bietet das Modell Flexibilität, was im Hinblick auf den umkämpften Bewerbermarkt nicht unattraktiv ist.
Klier: Für mich persönlich ist das Hauptargument, dass ich trotz der Tatsache, dass ich familiär stark eingebunden bin - mit Kindererziehung und Pflege - das tun kann, was ich gerne mache. Ich mache das, was ich hier gelernt habe und das noch zusammen mit einer sehr geschätzten Kollegin, die mir eine Weiterentwicklung ermöglicht.
Frau Scheerer, Sie hatten als großes Ziel des Konzerns Versicherungskammer die Steigerung der Frauenquote in Führungspositionen genannt. Hat sich die Quote durch das Jobsharing-Modell erhöht?
Scheerer: Dieses Modell hat nicht direkt dazu beigetragen. Doch die vielen Initiativen der vergangenen Jahre sowie unser stetiges Motivieren der Frauen, dass sie sich bewerben - all diese Maßnahmen gemeinsam haben dazu beigetragen, dass die Frauenquote in Führungspositionen in den vergangenen Jahren sukzessiv angestiegen ist.
Sonja Klier-Prokscha
Versicherungskammer Bayern
Führungskraft im Jobsharing-Modell
Claudia Scheerer
Versicherungskammer Bayern
Leitung Unternehmenskommunikation, Pressesprecherin