Am 19. September 2019 fand in Wuppertal die erste Runde der Tarifverhandlungen für die rund 170.000 Innendienst-Angestellten unserer Branche (einschließlich der Auszubildenden) statt.
Die Verhandlungskommission des Arbeitgeberverbandes wurde von Dr. Andreas Eurich, Vorsitzender des AGV und Vorstandsvorsitzender der Barmenia Versicherungen, geleitet. Verhandelt wurde mit den Gewerkschaften ver.di, DHV und DBV.
In der ersten Verhandlungsrunde stand der Meinungsaustausch über die volkswirtschaftlichen Rahmendaten und die Entwicklung der einzelnen Sparten der Versicherungswirtschaft im Mittelpunkt.
Für den AGV analysierte Professor Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, die aktuelle volkswirtschaftliche Lage in Deutschland, die sich in einer Veränderungsphase befinde. Die Dynamik des Welthandels habe viele Jahre die deutsche Konjunktur getragen. Dem sei jetzt nicht mehr so. Alle Vorläuferindikatoren seien mittlerweile negativ. Der 2011 begonnene Aufschwungprozess in Deutschland laufe aus. Für 2019 rechne er, Hüther, mit einem Wachstum von nur noch 0,5 Prozent.
Erfreulicherweise könne man aber Rekordverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt verzeichnen. Auch die Lohnquote sei seit Ausbruch der Finanzkrise deutlich gestiegen. Kurz gesagt: Eine tolle Arbeitsmarktentwicklung bei tollen Löhnen.
Die Lohnentwicklung in der Versicherungsbranche verlaufe parallel zu der anderer Branchen und liege sogar über dem verarbeitenden Gewerbe und der Automobilindustrie. Deshalb könne er keinen Nachholbedarf für die Versicherungswirtschaft erkennen.
Mit großer Sorge verfolge er, Hüther, die Zinsentwicklung. Die expansive Geldpolitik drücke auf die Renditen der Staatsanleihen. Seit 1990 könne man sinkende Zinsen bei konstanter Spar- und Investitionsneigung beobachten. Eine Zinswende erwarte er auf absehbare Zukunft nicht.
AGV-Geschäftsführer Dr. Michael Gold wies darauf hin, dass das Prämienaufkommen in der Versicherungswirtschaft – ohne Einmalbeiträge – im letzten Jahr zwar um 1,8 Prozent gewachsen sei, die Lebensversicherung stagniere aber seit 2012 und in der PKV sei die Zahl der Vollversicherten im siebten Jahr in Folge gesunken. Die anhaltenden Niedrigzinsen würden das Geschäftsmodell der Versicherer deutlich belasten, die Digitalisierung erfordere erhebliche Investitionen. Bei der Lohnentwicklung dürfe sich die Versicherungsbranche nicht von der in den anderen Teilen des Finanzgewerbes abkoppeln.
ver.di-Verhandlungsführerin Martina Grundler wiederholte die Forderungen, die die Große Tarifkommission ihrer Gewerkschaft am 11. April 2019 (vgl. TN 03/2019 vom 17. April 2019) beschlossen hatte:
- Erhöhung der Gehälter inklusive Zulagen (auch der Schichtzulage) um sechs Prozent
- Erhöhung der Auszubildendenvergütung für alle Ausbildungsjahre um 80 €
- Laufzeit des neuen Tarifvertrages: 12 Monate
- Rechtsanspruch auf Umwandlung von Tariferhöhungen in freie Tage
- Rückkehrrecht für heute in Teilzeit arbeitende Beschäftigte auf Vollzeit
- Unbefristete Übernahme der Auszubildenden
Zur Begründung der Lohnforderung führte sie aus: Gerade eine erlahmende Konjunktur „rufe“ nach einer starken Binnennachfrage. Deshalb seien spürbare Lohnzuwächse unabdingbar. Im Übrigen sehe sie einen „tarifpolitischen Nachholbedarf“ für Versicherungsangestellte.
Arbeitgeber-Verhandlungsführer Dr. Andreas Eurich sagte, die Höhe der Lohnforderung habe den AGV überrascht. Sie sei deutlich zu hoch und spiegele nicht die Rahmenbedingungen wider, in der sich die Branche befinde. Der Annäherungsprozess zwischen dem Arbeitgeberverband und den Gewerkschaften werde schwierig.
In der Diskussion warben mehrere Mitglieder der AGV-Verhandlungskommission für einen moderaten Tarifabschluss. Ihr Hauptargument: Schon heute haben die Innendienst-Angestellten 1,6 Prozent mehr Gehalt als im Jahr 2018 „in der Tasche“, weil die letzte lineare Erhöhung aus dem Tarifabschluss von 2017 erst im Dezember 2018 erfolgt sei und 1,7 Prozent betragen habe.
Entsprechend argumentierte der AGV auch gegenüber DHV und DBV.
Die Verhandlungen werden am 30. Oktober 2019 in Hannover fortgesetzt.